Vielleicht ist es 20 Jahre her, vielleicht auch länger. Aber es gibt Begegnungen und Erinnerungen, die unvergesslich und jederzeit abrufbar sind und auch nach Jahrzehnten noch Gefühle auslösen: Bei mir ist die Begegnung mit Karl Lagerfeld verbunden mit Aufregungen, Spannung, Nervosität, Panik, Frustration und Glück. Und ich bin über mich hinausgewachsen – das Schicksal ist manchmal wirklich ein Schelm.
Damals kam Karl Lagerfeld kam nach Berlin in das von ihm neu entworfene Schlosshotel Gerhus im Grunewald. Für seine Designideen sollte dem Meister seine nach ihm benannte Suite lebenslang zur Verfügung stehen. Lagerfeld war damals schon ein Weltstar – Modedesigner, Fotograf, Verleger, Sammler. Eine Ikone, ein Genie, Visionär; einflussreich, mächtig, leidenschaftlich. Ein Mann mit tausend Talenten, der es hasste, sich zu langweilen oder von langweiligen Menschen umgeben zu sein. Ich war für ein Interview angemeldet. Und hatte Bammel – Lagerfeld galt als schwierig und mitunter zickig, ungeduldig und anspruchsvoll. Und ich war, nun ja: frech, vorwitzig, neugierig und jung. Damals noch als Chefreporterin beim Radio und mein Chef wollte, dass ich mindestens eine Stunde – unterbrochen von Musik – mit einem aufgezeichneten Interview füllen konnte. Das war schwierig: Lagerfeld sprach schnell in kurzen Sätzen, er hetzte durch die vielen Presse-Gespräche. Also hielt ich ihm mein Mikro vor den Mund und fragte drauf los. Heute würde ich mich vieles nicht mehr trauen (Erfahrungen bremsen die Spontanität – damals gehörte mir die Welt;-) Lagerfeld müsste von klugen Fragen inspiriert werden – sonst verlor er die Lust. Also versuchte ich ihn zu inspirieren. Ich hatte genau 20 Minuten. Und habe sie bis zur letzten Sekunde gefüllt. Was ich gefragt habe, weiß ich nicht mehr, aber ich erinnere mich deutlich an das gelegentliche Zucken seiner Augenbrauen 😉
Mein Aufnahmegerät war so eine Art Kassettenrecorder – so haben wir damals noch Radio gemacht. Im Studio allerdings erwartete mich wenig später die größte Katastrophe, die ich bis dahin beruflich erlebt hatte: das Gerät hatte nicht aufgezeichnet! Mir wurde schwarz vor Augen und speiübel vor Angst! Kleinlaut beichtete ich diese Panne meinem Chef. „Egal wie Sie es anstellen, Frau Conradt! Sonntag läuft ein Interview mit Karl Lagerfeld. Die Ankündigung läuft bereits im Programm. Also besorgen Sie ein Interview!“ Das Gespräch war, nun ja, nicht wirklich freundlich verlaufen…
Karl Lagerfeld hatte Berlin natürlich längst wieder verlassen. Er stand kurz vor einer großen Modenschau in Paris. Rückblickend wundere ich mich über mich selber, wie ich es geschafft habe, Unmögliches möglich zu machen. Das erste Gespräch mit seinem Büro war ernüchternd: es gäbe eine Warteliste von MONATEN! Internationale Journalisten aller möglichen großen, mächtigen und einflussreichsten Zeitschriften würden geduldig warten, bis König Karl mal Zeit haben würde. Kurzum – es gäbe keinen Termin!!! Schon gar nicht für mich. So ein unbedeutender Radiosender in Berlin…. Mon Dieu!!!! Wie auch immer ich die Leute bequatscht habe… ich habe wirklich einen zweiten Termin bekommen: Am nächsten Tag in seinem Atelier bei Chanel in der Nähe der Avenue des Champs-Élysées in Paris. Ich flog also abends nach Paris – mein erstes Mal in der Stadt der Liebe. Nervös, mein Aufnahmegerät 2000mal gecheckt, völlig überfordert mit der Wahl meiner Garderobe (ich als Jeansmädchen habe mich für ein schreckliches braunes Kostüm entschieden – es muss in seinen Augen äußerst geschmerzt haben). Mein billiges Hotelzimmer war ein Dreckloch mit benutzter Bettwäsche, aber das war egal: und meine Nerven lagen blank! Am nächsten Morgen war ich überpünktlich dort. Der Meister saß bereits an einem beeindruckend großen, halbrunden Tisch. Es wirkte wie eine futuristische Kommandozentrale. Vor ihm ein eleganter Behälter mit Bleistiften – alle hellgrün, in der gleichen Länge und sauber angespitzt. Ansonsten war der Tisch leer. Er arbeite schnell und konzentriert. Spindeldünne, blutjunge Models standen vor ihm, seine Schneiderinnen – alle nicht mehr jung – reagieren auf jeden Blick ihres Meisters. Sie steckten und rafften, schnitten und drapierten Stoffe auf dem Weg zur Haute Couture. Er selber dirigierte mit lässigen Handbewegungen, zuckenden Augenbrauen (das kannte ich ja bereits) und wenigen Worten. Seine Chef-Directrise schien immer schon Sekunden vorher seine Gedanken zu erraten. Mich würdigte er keines Blickes.
So ging es Stunde um Stunde – ohne Pause. Nirgends schien auch nur eine winzige Lücke für mich eingeplant. Ich ging nicht auf Klo, aus Angst, meinen Slot zu verpassen – und hatte nichts zu essen oder zu trinken dabei. Man bot mir auch nichts an. Ich saß am Rand des Ateliers und guckte zu. Meine Frustration und die Angst, nicht nur ohne Interview, sondern auch noch mit reichlichen Spesen meinem Chef unter die Augen zu treten, waren enorm. Nachmittags gab es eine winzige Pause. Die Models und Schneiderinnen, die Sekretärinnen, Pressemenschen und Musen, die überall rumlungerten, durften essen – es gab gekochten Schinken. NUR gekochten Schinken. Ohne Brot. Ich saß brav auf meinem Stuhl und wartete. 12 Stunden. Das war wohl meine Strafe für meine vorlaute Berliner Schnauze und die nicht so passenden Fragen, die ich gestellt hatte. Abends um 21 Uhr wurde ich erlöst. Er kam zu mir und beantwortete in seinem unnachahmlichen Stakkato meine Fragen. Ich hätte sauer sein müssen. Aber ich war nur dankbar. Ein großer Moment, den ich allein mit Karl Lagerfeld geteilt habe. Eine unvergessliche Geschichte in meiner beruflichen Biografie. Das erste Mal Paris und dann diese Begegnung. Es war die Vor-Handy-und-vor-Internet-Zeit… Kein Facebook, kein Twitter, keine Fotos. Aber die Bilder sind mir ins Herz berannt.
Heute habe ich einen Nachruf von einer bekannten Journalistin gelesen – sie hat über Lagerfelds geniales Lebenswerk referiert und es bedauert, es in 20 Jahren nicht geschafft zu haben, den Meister einmal zu interviewen. Nun, ich hatte ihn zweimal – innerhalb von drei Tagen. Und er verabschiedete mich tatsächlich mit einem Lächeln.
Zum Foto: Es ist ein Handy-Schnappschuss von der magnetischen Bilderwand an meinem Kühlschrank. Leider keines von mir und Karl – das gibt es nicht. Aber Arnold Schwarzenegger und Gorbatschow sind ja auch nicht so übel. Das Baby ist übrigens meine Tochter, die ich damals mangels Babysitter mit auf die Pressekonferenz geschleppt habe. Im Anschluss durfte ich ihm einen Scheck überreichen. Wofür? Keine Ahnung, lange her…