Restaurant Bricole: Nachbarschaftslokal mit Stern

Angefangen hat es im Restaurant Bricole im Berliner Helmholtz-Kiez mit exquisiten kulinarischen Kleinigkeiten. Daher stammt auch der Name, der vom französischen bricoler für ‚tüfteln‘ oder ‚basteln‘ abgeleitet ist. Schnell verfeinerte sich das Küchenkonzept vom entspannten Family Style zum Casual Fine Dining. Spätestens im Lockdown hat sich die sympathische Crew um Gastgeber Fabian Fischer und Küchenchef Steven Zeidler dann mit herzerwärmenden Königsberger Klopsen-to-go und Champagner im Stehen fest als lässiges, qualitativ zuverlässiges Nachbarschaftslokal etabliert. Heute verfolgt das Bricole ein reines Menü-Konzept mit hervorragenden Zutaten, die handwerklich sicher und aromatisch kontrastreich kombiniert werden. „Wir haben bodenständige Produkte, und die machen wir mal in geil“ – besser als Fabian Fischer könnte man es nicht auf den Punkt bringen. So begeistert waren wir lange nicht mehr.

Ein Stern für den Prenzlauer Berg

Als einziger Neuzugang in Berlin und gleich bei der ersten Nominierung erhielt das Restaurant Bricole 2022 seinen ersten Michelin-Stern. Das kam überraschend, denn vor wenigen Jahren wäre es noch komplett durch das Raster gefallen: Die geringe Anzahl an Köchen – neben Autodidakt Steven Zeidler wirkt nur Sous-Chef Andy Wilde in der Küche -, einfache, meist regionale Zutaten und der lässige, unprätentiöse Service wären bei den Michelin-Testern früher Ausschlusskriterien gewesen. „Wer es „kulinarisch modern mag, wer unkomplizierte Atmosphäre schätzt, wer einen hohen Qualitätsanspruch hat, der kommt im Bricole voll und ganz auf seine Kosten“ loben die altehrwürdigen Tester des Guide Michelin. Offenbar sind neue Zeiten angebrochen – gut für das kleine Bricole mit seinen schlichten, stilvoll eingedeckten Tischen, den imposanten Blumenarrangements und seinem lässig-charmanten Gastgeber. „Uns hat es umgehauen. Die Strahlkraft des Sterns ist enorm gewesen, schon am ersten Tag kamen direkt 100 Reservierungen rein, danach wurden es täglich mehr“ erzählte Fischer kürzlich beim Berliner Tourismusdialog.

Rieslingverliebte Weinkarte

Das Warten lohnt sich, denn der Stern ist allemal verdient – davon konnten wir uns bei unserem Test persönlich überzeugen. Während wir es uns an einem heißen Augustabend auf den Außentischen bequem machen und mit einem Sekt Réserve Raumland Rosé Brut auf den Abend anstoßen, studieren wir die Weinkarte. Riesling-Fans öffnet sich das Herz beim Studieren dieser Liste, die mit einer großartigen Auswahl und der Überschrift „Königin aller Rebsorten“ alle wichtigen deutschen Positionen von Rhein und Mosel beinhaltet. Selbstredend beschränkt sie sich nicht auf Riesling, legt aber zumindest bei den Weiß- und Schaumweinen einen deutlichen Fokus auf deutsche Anbaugebiete. Wir lassen uns überraschen und finden in Fabian Fischer nicht nur einen großartigen Gastgeber, sondern auch einen herausragenden Sommelier. Mit dem richtigen Pairing überrascht er uns und holt damit immer noch einen Tick mehr aus den Gerichten heraus.

Undogmatische regionale Küche

Das Restaurant Bricole verbinde „auf moderne und kreative Art regionale Küche mit internationalen Einflüssen“, schreibt der Guide Michelin. Vor allem verzichtet es auf Dogmen, wenn ein regionales Produkt gerade nicht zu haben ist oder nicht optimal passt. So starten wir mit einem Lebensmittel, das selbst auf Brandenburger Sand gedeiht: Ganz ihrer Natur entsprechend kommt die Kartoffel pur, mit Schale und rauchigen Erdnoten auf wohlbemerkt nicht essbarer Salzkruste. Als zweites Amuse folgen wunderbar frische Avocado-Schaum-Körbchen mit Estragon – ich liebe diese von den Deutschen lange verschmähte Kraut. Die Ästhetik erinnert an Nordic Cuisine, und auch beim Geschmack steht klar das Produkt im Vordergrund. Gut, dass das ofenfrische, selbstgebackene Brot mit einer unwiderstehlichen Karamellbutter jetzt erst auf den Tisch kommt – sonst wäre es schwer gewesen, nicht geradewegs in die Sättigungsfalle zu tappen.

Bodenständig genial

Das 6-Gänge-Menü startet mit einer so einfachen wie feinen in Salz geschmorten roten Beete mit Lakritz, Johannisbeere und Dillstaub – letzterer genau wie der Estragon ein herrliches Kraut, das aktuell eine Renaissance erlebt und bei mir als Küstenkind wohlige Kindheitserinnerungen weckt. Seine charakteristischen Öle geben die Frische, die Johannisbeere die Säure, um der roten Knolle ein wenig von ihrer Erdigkeit zu nehmen. Der Rebholz-Riesling ist in seiner Salzigkeit und Mineralität perfekt ausgewählt und erledigt den Rest. Ich habe das vegetarische Menü gewählt (seit neuestem gibt es die vegetarische Variante nur noch auf Anfrage) und freue mich an der 24 Stunden gedörrten Tomate mit Kaffeejus, Tomatenessenz und Fetakrümeln – eine sommerliche Aromabombe. „Sauvignon ist mit Tomate quasi verheiratet“ kündigt Fabian Fischer seinen herrlichen Von Winning-Sauvignon Blanc an – und hat wieder einmal Recht, denn eine markante Note von grüner Paprika setzt einen guten Kontrast zur Fruchtigkeit der Tomate. Der Kollege freut sich stattdessen an einem untadeligen Stör von den großartigen 25 Teichen in Rottstock, die zu den besten Fischquellen der Region gehören.

Gemüse über alles und allem

Es geht aufregend weiter: Der kulinarisch wiederentdeckte und inzwischen allgegenwärtige Blumenkohl liegt hier auf einer Pilzbrühe und Trüffel, obenauf thront eine optisch und texturell ansprechende Brotblume. Die Aubergine »Sous-vide« mit Joghurt-Gurkenemulsion, Avocado-Rauch-Mayo und Kartoffel hat sich inzwischen zum Bricole Signature-Dish hochgearbeitet und kommt hauchzart, nicht zu trocken und leicht rauchig, das Topping auf frittierten Zwiebeln fügt Spannung in der Textur hinzu. Dieser Gang vereint Aromen, die jedem Fleischgericht standhalten – so geht moderne Sterneküche. In der gleichen Liga spielt die umwerfende Kohlrabi-Intepretation mit delikatester Nussbutter und einem schaumig-cremigen Häubchen aus konfiertem Eigelb: ein Höhepunkt nach dem anderen und ein wahres Fest für Gemüsefans. Die Kirschen von Bauer Riedel mit Joghurt, Donut und Buchweizen kommen ein wenig rustikal daher – Steven Zeidler kann fast alles, das Hantieren mit Bastelschablone und französischer Pâtissier-Obsession scheinen allerdings nicht seins zu sein. Die abschließend gereichten Trüffel und der 2010 Emrich-Schönleber Halenberg Riesling GG mit seinem geradezu perfekten Süße-Säure-Spiel hingegen hallen am Gaumen nach und begleiten uns in der dieser hochsommerlichen Nacht nach Charlottenburg.

Bricole, Senefelderstraße 30, 10437 Berlin Deutschland | +49 (0)30 84421362
Öffnungszeiten: Mo- Fr ab 18:30 Uhr | Menü inkl. Wasser € 112, Weinbegleitung € 64


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